Hara
Der Begriff Hara (jap.: 腹 oder 腹), wird im japanischen Alltagsverständnis zunächst mit „Bauch“ (fukubu oder onaka) übersetzt und meint die Körpergegend vom Magen (I, 胃) bis einschließlich Unterleib (tanden). Über den körperlichen Begriff hinaus ist hara jedoch auch ein zentrales Prinzip der japanischen Lebensart, mit weitreichender Bedeutung im Alltag und in den Künsten (geidō). In China wird der verallgemeinernde Bauchbegriff nicht direkt verwendet, dafür umso mehr das Prinzip dāntián (jap.: tanden), womit die Mitte (chin.: zhōng, jap.: naka) des hara bezeichnet wird. Die Bezeichnung hara ist in Japan ein Alltagsbegriff, der in der detallierten Betrachtung eigentlich das differenzierte tanden meint.
Etymologie des Begriffes
Es gibt zwei kanji, mit denen man heute den Begriff schreiben kann. Beide bedeuten hara, doch in der näheren Betrachtung unterscheiden sie sich voneinander. Beide können in unterschiedlichen Übungen (qìgōng und bujutsu) zur Steigerung der inneren Vitalkraft (jap.: ki, chin.: qì) oder der äußeren Wirkungskraft (jutsu) verwendet werden.
- Hara (肚, Erdmitte) – Im alten kanji für hara bedeutet das rechte Radikal „Erde“, das linke „geöffneter Körper“. Das Zeichen drückt sowohl die Zentriertheit als auch das Bodenverhaftete des Menschen im hara aus und wurde von Dürckheim kongenial als „Erdmitte“ übersetzt.
- Hara (腹, Bauch) – Die kalligraphische Deutung des neuen kanji von hara bezeichnet ein „Anschwellen des Körpers“ oder ein Behältnis, in dem alle lebenswichtigen Energien aufgenommen, kontrolliert und angewendet werden können.
Ausdrucksformen des Hara
Das körperliche Menschenbild ist in den weltlichen Kulturen von unterschiedlichen Mentalitäten geprägt. Im Westen begann durch die Lehren von Isaac Newton früh eine überbetonte Verselbständigung des Ich, das durch Erkenntnisse aus den Wissenschaften die Unterwerfung der Natur anstrebte. Die asiatischen Kulturen hingegen lehrten die Anpassung an die Natur. Sie lehrten die Überwindung des Ich und ein Leben in Konformität mit den Gesetzen der Natur. Dadurch entstanden unterschiedliche Körperideale und Mentalitäten. Auch die Inhalte, Absichten und Übungsformen begannen sich grundlegend zu unterscheiden.
Hara in der japanischen Lebensart
Die Lehre über hara als psychophysische Übung wird bereits in die japanische Erziehung als grundlegendes Prinzip integriert. Von klein an werden japanische Kinder zum hara gemahnt und in diesem Kontext erzogen. In demselben Sinn werden spätere Schüler der Kampfkünste dazu angehalten, ihre Kraft aus der Lendengegend über die Hüftbewegung zu entwickeln und nicht über die Schultern. Damit soll im Hintergrund der Übung ein Ausgleich zwischen den schädlichen Wachstumstendenzen des Ich und den natürlichen Anlagen des Lebens erreicht und durch Übung korrigiert werden. Jede Aktivität entsteht im hara. Hara ist der Sitz der Seele, das Medium aller Beweggründe, Gefühle und Absichten, eine übergeordnete Leitinstanz des japanischen Lebens und die intuitive Erkenntnis aller Wahrnehmungen. Das Prinzip des hara ist keineswegs nur Theorie, sondern wird in der praktischen Übung des geidō zum Zentrum jeder Übung. Hara ist die Grundsubstanz jeder Weg-Kunst, durch die die Einheit von Geist, Technik und Körper (shingitai) herangebildet werden kann. Fortschritt in den Wegkünsten definiert sich im Grunde genommen im Erreichen einer höheren Verwirklichungsstufe des hara, weshalb hara das Zentrum jeder körperlichen und geistigen Übung sein muss. Aussagen wie hara wo neru („den Bauch üben“), oder hara gei („die Bauch-Kunst“) sind in Japan so selbstverständlich, dass der Japaner sie überhaupt nicht gesondert erwähnt. Es ist unausgesprochen selbstverständlich, das in allen Wegkünsten, gleich ob Kampfkunst, Zen, Blumenstecken oder Teetrinken, hara das zentrale Übungsprinzip ist. Das im Ausdruck sichtbare Gleichgewicht eines Menschen (der vollendete hara) wird in den asiatischen Kulturen keineswegs als naturgegebene Veranlagung, sondern als das Ergebnis einer lebenslangen Übung (keikō) in einer Weg-Kunst (geidō) begriffen.
Hara im Westen
In allen Kulturen der Welt kennt man Unterschiede im körperlichen Erscheinungsbild der Menschen. Der körperliche Ausdruck des Menschen ist in allen Kulturen ein Abbild seiner inneren Beschaffenheit und zeugt von seiner persönlichen Weise, dem Leben zu begegnen. Fragt man in den westlichen Kulturen nach dem Sitz des Lebens, werden die Menschen mentalitätsbedingt auf den Bereich des Kopfes oder des Herzens deuten. Stellt man diese Frage in den ostasiatischen Kulturen, deuten die Menschen auf den Bauch. Hara hat im ostasiatischen Raum eine vollkommen andere Bedeutung als im Westen. In Japan bezeichnet hara den individuellen Ausdruck eines Menschen bezüglich seiner inneren Grundbeschaffenheit und deutet stets darauf hin, ob ein Mensch in seiner „Mitte“ (naka) ist oder nicht. Das westliche Menschenbild hingegen zeugt von einer starken Ich-Kultur und zieht den Schwerpunkt in die Brust. So ist der moderne Körperfetischist (z.B. ein Bodybuilder) nicht bloß ein körperbetonter Mensch. Sein Ich manifestiert sich oberhalb seiner „Erdmitte“ im überbetonten Brust-Schulter Bereich, in dem sich sein Selbstgefühl konzentriert. Unterbewusst oder bewusst lehnt er die Einordnung in ein naturgemäßes Leben ab, sein de-zentriertes Ich stellt sich darüber und will gelten. Als Zentrum des intuitiven Wahrnehmens, Handelns und Ausdrucks ist der Bauch jedoch auch in der westlichen Kultur nicht unbekannt. Wir haben in bestimmten Situationen „Bauchschmerzen“ oder „Schmetterlinge im Bauch“ und entscheiden zuweilen „aus dem Bauch heraus“. Vom Ich-Kult befreite Menschen, wie z. B. Priester oder erfahrene Handwerker erlauben ihrer inneren Haltung, sich zu setzen, und versammelt sich auch körperlich viel weiter unten – sie passen sich seiner von der Natur auferlegten Bestimmung an und vereinigen im Gleichgewicht in sich beide Bestimmungspole des menschlichen Lebens – Streben und Achten (mosshōseki).
Das kombinierte Konzept – Shingitai und Hara
Das Konzept über den energetischen Mittelpunkt des Menschen (hara) stammt aus den frühen chinesischen Philosophien des Daoismus. Bereits 5000 v.Chr. stellten die Chinesen die Abhängigkeit des Menschen von den natürlichen Gesetzen des „Lebens und Sterbens“ fest und gründeten körperlich/geistige Übungen (qìgōng), durch die eine bestmögliche Vereinbarkeit des Menschen mit den naturbestimmten Lebensgesetzen zu verwirklichen war. Dabei ging es um die Anpassung des Menschen an die Gesetze der Natur, wodurch eine perfekte Lebensharmonie und gleichzeitig eine höchstmögliche Wirkungsweise erreicht werden konnte. Die Übung des hara kann nur über ein intensives Studium desselben verstanden und in die Trainings übertragen werden. Dabei geht es stets um die Integration dieser hintergründigen Prinzipien in das Training der Technik. Neben vielen anderen betrachten wir folgend die philosophischen Prinzipien shingitai und ihre Umsetzung in die praktische Übung.
Shingitai – Die Dreieinheit
In den japanischen Künsten definiert sich hara als Mitte (naka) des Menschen und bildet ein gesamtmenschliches Kontrollzentrum in der die Zusammenführung von Geist (shin), Technik (gi) und Körper (tai) als shingitai oder sanmi ittai bezeichnet wird. Dieses psychophysische Konzept zielt auf die Ganzwerdung des Menschen (shinshin), durch die Übung einer äußeren Technik (gi) und bildet das Zentrum aller japanischen Wegkünste (geidō). Erst in diesem Sinn ist das Sprichwort „ob Teetrinken, Blumenstecken oder Sitzen, es ist immer das gleiche“ oder „was richtig geschieht, muss immer mit hara geschehen“, zu verstehen. Dass Ziel jeder Übung im budō ist die Dreieinheit (sanmi ittai), zunächst zwischen Körper (tai / karada) und Geist (shin / kokoro), wodurch es möglich wird, den so genannten Geist-Körper (shintai) zu verwirklichen. Dazu braucht der Übende die Anleitung zum richtigen Verständnis seiner Technik (gi / waza). Das daraus resultierende Prinzip bezeichnet man als shingitai (die Einheit von Geist, Technik und Körper). Die Verwirklichung dieser Philosophie in der Praxis geschieht in der kontemplativen Auseinandersetzung mit der Technik in der Übung unter der Anleitung eines sensei. Darin ist die Technik nur Mittel zum Zweck – das Ziel ihrer Übung ist nach wie vor die Einheit von Körper, Geist und Handlung.
- Shin – die Bezeichnung shin (kokoro) bedeutet „Geist“, „Herz“ oder „Gemüt“. In den Kampfkünsten steht der Begriff für die geistige Haltung und bildet eines der drei grundlegenden Prinzipien in der Verwirklichung von hara. Der Geist des Weges hat nur wenig mit der theoretischen Philosophie zu tun. Er bedarf des Antriebs zum inneren Kampf um eigenes Denken und Erkennen. Der Weg (dō) ist eine beständige Suche nach Wahrheit und kein Nachahmen von vorgedachtem Wissen. Wahrheit ist kein Fakt, sondern eine Relation. Der Sinn des Weges zu ihr liegt im Werden, nicht im Erreichen.
- Gi – der Begriff gi (waza) bedeutet „Technik“, „Fähigkeit“, „Kunstgriff“. In den Wegkünsten (geidō) steht der Begriff für die Übung der körperlichen Technik und bildet damit eines der drei Grundelemente in der Verwirklichung des hara. Gi/waza bedeutet aber nicht nur Technik, sondern kann sich unter korrekter Anleitung in die Interpretation jutsu (technische Kunst) erweitern. In diesem Fall wird die Technik Mittel zum Zweck und dient der Ganzwerdung des Menschen.
- Tai – in allen Künsten gibt es ein Instrument, mit dem die jeweilige Kunst zum Ausdruck gebracht wird. In der Literatur ist es die Sprache, in der Malerei der Pinsel, in der Musik z.B. die Flöte – in den Kampfkünsten ist es der Körper, tai (karada). Der Körper muss für seine auszuführenden Aufgaben trainiert sein und seiner Bestimmung gerecht werden. Er muss durch Training das Prinzip hara verstehen und anwenden lernen. Im karate besteht seine erste Herausforderung in der Verwirklichung des Prinzips yōi und seinen körperlichen Ausdrucksformen (yōi shizentai, yōi dachi und yōi gamae).
Hara – Die Erdmitte
Zunächst aber muss auf der Basis der Ganzkörperbewegung (shitai undō) die Technik perfektioniert werden. Alle im geidō zu erzielenden Persönlichkeitswerte hängen von der Verwirklichung dieses Prinzips ab. Das verbindende Element zwischen Körper und Geist (shinshin) wird in der Philosophie der Körpermitte (hara) gesehen. Hara ist der Sitz der Energie (ki), das Zentrum der Bewegung (undō) und der innerste Kern unseres Selbst. Die gesamte Philosophie des budō kreist um die Lehre des hara und ist in den Weglehren unverzichtbar. In allen Weglehren des budō geht es nicht um die Übung bloßer Körpertechniken, sondern um die Vereinheitlichung von Geist, Technik und Körper durch das Training der Techniken. Dadurch führt der Lehrer seine Schüler auf einen Inneren Weg.
- Shisei – die Haltung ist eine der Ausdrucksformen von hara und bezieht sich auf die Haltung des Körpers. Aus der in ihrem Mittelpunkt verankerten Gestalt erwächst der obere Körper auf seiner vertikalen Achse in vollkommenem Gleichgewicht nach oben. Der Nacken ist gerade, die Schultern entspannt, während sich die Schwerkraft nach unten senkt und im Bauch (hara) versammelt. Man entwickelt das Gefühl einer schweren Kugel in der Bauchgegend, deren Eigengewicht den Stand verankert und die den Oberkörper trägt. Sowohl im Stand als auch in der Bewegung geht es darum, dieses körperliche Gefüge zu erhalten, um die Kraft der Mitte voll zur Geltung kommen zu lassen. Die Mitte ist das Zentrum der Kraft und das Zentrum des Gleichgewichtes. Durch den Einsatz der Hüfte kommt diese Kraft zur Geltung, indem durch den richtigen Umgang mit dem Schwerezentrum das Gleichgewicht im Stand und in der Bewegung gewahrt wird.
- Kinchō/Kanwa – bezeichnet das Verhältnis zwischen Spannung und Entspannung in allen Handlungen. Unter Berücksichtigung der rechten Haltung (shisei) bewegt sich der Körper in der auszuführenden Aktion – immer ausgehend von hara – entweder in einer Hüftdrehung oder in einem Hüftschub. Um darin höchstmögliche Kraft zu entwickeln, bedarf es des rechten Spannungsverhältnisses der Muskeln in der Bewegung. Grundsätzlich wird jede Bewegung in der Entspannung ausgeführt, um eine maximale Endgeschwindigkeit der Technik (und somit kinetische Energie) zu erreichen, die am Ende durch ein kurzzeitiges Anspannen in destruktive Energie umgesetzt wird.
- Kokyū – bezeichnet den Vorgang der Atmung. In allen Techniken des karate ist die Atmung von entscheidender Bedeutung. Im unmittelbaren Handlungsvorgang bestimmt sie das „Geben und Nehmen“, das „Spannen und Entspannen“ und den psychologischen Aspekt der Technik. Die Atmung ist nicht nur ein körperlicher Vorgang, sondern kommuniziert mit den psychologischen Strukturen des Menschen: so heißt Einatmen grundsätzlich „Nehmen“ und Ausatmen grundsätzlich „Geben“. Auch ungeübte Menschen verwenden unbewusst dieses Prinzip (z.B. beim Holzhacken – niemand spaltet einen Holzklotz, während er einatmet).
Hara in der Übung
Tanden oder Dāntián
In den Kampfkünsten stehen deshalb die Prinzipien der Haltung (shisei), der rechten Spannung (kinchō) und der Atmung (kokyū) in beständiger Relation zueinander. Wenn man entspannt und aufrecht ist und das Zwerchfell während der Einatmung nach unten zieht, drückt sich der Bauch ganz natürlich nach vorne. Der Atem strömt in den Bauch, in das Zentrum der Kraft (hara). Wenn wir ausatmen, drückt das Zwerchfell nach oben, und die Luft strömt heraus. Der Atem strömt in den Bauch, in das Zentrum der Kraft (hara). Der körperliche Ausdruck des Menschen ist stets ein Abbild seiner inneren Haltung (shisei) und zeugt von seiner persönlichen Weise, dem Leben zu begegnen. Darin besteht die Lehre des budō. Deshalb sollten ernsthafte Übende schon als Anfänger in den Budō-Künsten sich darum bemühen, zumindest die über die Sinnesreize empfangenen Wahrnehmungen auf die richtige Weise zu tragfähigen Erkenntnissen zu kombinieren. Auch wenn der Anfänger unter der kritischen Anleitung seines Lehrers stätig gegen seine Selbstgefälligkeit kämpfen muss, lernt er in der Zeit Situationen einzuschätzen und versteht letztlich, wann er von anderen gebraucht wird, wann er stört, wie er sich in Situationen heraus- und hineinbegeben muss, wie er eine Situation durch Bekenntnis mitverantworten kann, und wie er überhaupt von einem passiven Mitläufer zu einem aktiven Mitgestalter wachsen kann. Schlüsselpunkte eines solchen Studiums sind Folgende:
Tanden – der Mittelpunkt des Hara
Der Begriff tanden bezeichnet den Unterbauch als Schwerkraftzentrum des hara. Im tanden befindet sich etwa 2 cm unter dem Nabel kikai (Meer der Energie), das Energiezentrum des hara. Der japanische Begriff tanden leitet sich aus dem chinesischen Wort dāntián ab und bezeichnet den Unterbauch des hara als das Schwerkraftzentrum des Menschen. Während in der chinesischen Ursprungslehre mehrere tanden existieren, steht in den japanischen Weglehren das untere tanden im Mittelpunkt der Betrachtung. Im unteren tanden wird ein Mittelpunkt klassifiziert, den man als „Meer der Energie“ (kikai) bezeichnet. Dieser ist gleichzeitig der sechste Akupunkturpunkt auf dem Rènmài-Meridian. Das gesamte Feld des tanden umfasst noch weitere drei Vitalpunkte, unter deren Hinzunahme dieses Körpergebiet mit einer Beuteltasche verglichen wird, wodurch der Übende lernt, vitale Energie (ki) zu sammeln und durch sie zu wirken. Bleibt dieses Reservoir leer, ist die Handlung wirkungslos. Die japanische Philosophie über tanden (Unterleib) und kikai (Meer der Energie) stammt ursprünglich aus China, wo man dafür die Parallelbegriffe dāntián und qihai verwendet. Dāntián bedeutet im Chinesischen wörtlich „Zinnoberfeld“ und bezeichnet mehrere wichtige Körpergebiete zur Speicherung der Lebensenergie (ki). Zinnober war früher ein wertvoller Stoff und galt darüber hinaus in seiner alchimistischen Deutung als Stoff der Unsterblichkeit. Fortschritt im budō definiert sich im Grunde genommen im Erreichen einer höheren Verwirklichungsstufe des hara, weshalb hara das Zentrum jeder körperlichen und geistigen Übung sein muss. Hara wo neru, d.h. „den Bauch üben“, oder hara gei ist so selbstverständlich in den Wegkünsten enthalten, dass der Japaner es überhaupt nicht mehr gesondert erwähnt. Gleich welche Übung man wählt, ob es Kampfkunst, Zen, Blumenstecken oder Teetrinken ist, nie wird die Technik ohne hara geübt. Das Ziel ist immer der ganze Mensch. Daher kommt das Sprichwort „ob Teetrinken, Blumenstecken oder Sitzen, es ist immer das gleiche“ oder „was richtig geschieht, muss immer mit hara geschehen. „Hara bezeichnet die Organisation des Menschen auf seiner vertikalen Achse in Bezug auf seine Körperhaltung (shisei), Spannung (kinchō) und Atmung (kokyū). Die Verwirklichung von hara ist in allen ostasiatischen Wegkünsten ein Zeugnis von menschlicher Reife. Jede Weg Übung (dō) – also auch budō – zielt dementsprechend vor allem auf die Persönlichkeitsbildung und auf die Entwicklung der inneren Werte des Übenden. Ohne hara wird die Kampfkunst zum Wettkampfsport.
Hara im Konzept yōi
Yōi – Der psychophysische Ausdruck des Hara
Die Entwicklung von vitaler Energie (ki) beginnt immer im Körper (Rumpf). Ki wird vom hara ausgehend in die Extremitäten gelenkt. Das Sich-Befinden in der persönlichen Mitte, die auf einer vertikalen Achse zentriert, mit entspannter Stärke und Aufmerksamkeit gefüllt ist und in ruhiger Atmung verharrend die vitalen Kräfte sammelt, kontrolliert und lenkt, bildet die erste Voraussetzung zur Entwicklung von kime in den Handlungen. Dieses konzentrierte Verharren in der eigenen Persönlichkeitsmitte erzeugt das Gefühl von präsenter Stärke des GANZEN. Es ist die Grundlage der stabilen Körperhaltung in den Ständen und organisiert sämtliche Spannungsverhältnisse auf der vertikalen Achse des Körpers. Sie sollte in der Bereitschaftshaltung (yōi gamae) geübt und später in alle Stände, (tachi) Bewegungen (sabaki) und Techniken (waza) übertragen werden.
Naka – Die Mitte
Naka, das „Prinzip der Mitte“ bestimmt weitgehend das gesamte ostasiatische Leben und weiterführend alle Bereiche der asiatischen Kampfkünste. Bereits im alten China, dass man nach wie vor als „Land der Mitte“ bezeichnet, empfand sich der Mensch selbst als Mittelpunkt und organisierte sein Leben ausgehend aus seiner persönlichen Mitte (chin.: zhōng), die er in seinem dāntián lokalisierte. Diese Theorie übertrug sich im ostasiatischen Raum und begründete in Japan das Prinzip der Mitte. Der Mensch als Individuum begriff sich darin immer selbst als das Zentrum seiner Wirkungskreise, musste aber durch zusätzliche energetische Übungen seine persönliche Mitte (hara) finden, wahrnehmen und kontrollieren lernen, um in der Welt wirkungsvoll handeln zu können. Ausgehend von der Mitte werden die Richtungen (hōmen) entwickelt.
Hōmen – Die Richtungs- und Raumorientierung
In Japan bezeichnet man die Mitte als naka, die sich im Bauch (hara) des Menschen befindet, aus der heraus er sich grundsätzlich in die Richtungen der vier Welt Pole bewegt: nach vorn, zurück, nach links und nach rechts. Die gesamte Bewegungstheorie des budō ist auf diesem Prinzip aufgebaut. Der Übende konzentriert sich auf seinen Bauch (hara) und dessen Zentrum (tanden) und baut von dort ausgehend jede Technik und Bewegung auf. Das karategramm und das enbusen beruhen auf dieser Theorie.